Experteninterview mit Prof. Dr. Ulrich Schwaneberg
Redaktion - Thomke Bergs |

NACHGEFRAGT im Experteninterview
Interview mit Prof. Dr. Ulrich Schwaneberg | Lehrstuhl für Biotechnologie, RWTH Aachen University (TransBIB Bereich “Industriebezogene Schulungen”)
Frage 1: Der Begriff „Bioökonomie“ ist für viele nach wie vor sperrig und schwierig zu definieren. Was bedeutet er konkret für Sie, Herr Prof. Schwaneberg?
Prof. Schwaneberg: Ich sehe die Bioökonomie als wichtigen Teil des Wirtschaftsmodells einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft, in der die heutigen Produktkonzepte und Produktionstechnologien neu gedacht werden, um Produkte auf Basis erneuerbarer Ressourcen ökologisch und ökonomisch in einer nachhaltigen, industriellen Wertschöpfungskette herzustellen. Hierzu benötigt es eine biologisch transformierte Industrie (Stichwort Ressourcenwende), in der wir die Natur und die Chancen aus der Konvergenz von Biotechnologie, Chemie, AI-/computerunterstützten Methoden und Automatisierung als die Quelle des Wohlstands von Morgen sehen und deren integrative Entwicklung schnell und prägend vorantreiben.
Frage 2: In den letzten Jahren haben wir deutlicher spüren können, wie fragil die weltweiten Warenketten und Versorgungswege sein können. Wie können moderne Methoden der Biotechnologie einen Beitrag zu neuen Wertschöpfungsketten und -netzen leisten?
Prof. Schwaneberg: Aus meiner Sicht können Methoden der Biotechnologie nicht nur einen Beitrag leisten, sondern sind zentrale Voraussetzung für neue Wertschöpfungsketten in einer biologisch transformierten Industrie. Innovationssprünge belegen die Nobelpreise für „Gelenkte Evolution“ in 2018, die z.B. die Herstellung von Bioethanol oder Antikörpern ermöglicht, und für CRISPR/Cas, die ‘Genschere’, in 2020. Konkrete Beispiele finden sich u.a. mit dem Fokus auf die Kreislaufwirtschaft. Wichtige Stichworte sind sowohl die „Phosphat-Rückgewinnung zur Sicherstellung der Düngemittelproduktion“ als auch das „Polymerrecycling in geschlossenen und offenen Kreisläufen“. Nicht zuletzt wird durch Biotechnologie die Herstellung von Produkten wie Proteinen aus nachwachsenden Ressourcen ermöglicht, die als Fleisch-/Käseersatz oder für eine breite materialwissenschaftliche Nutzungen in zahlreichen Industriefeldern genutzt werden können.
Frage 3: Sie arbeiten in vielen Forschungsprojekten eng mit der Industrie zusammen und konnten im Rahmen des Kompetenzzentrums Bio4MatPro sogar F&E-Projekte in direkter Firmenführung realisieren. Was ist die größte Herausforderung bei einer „Biologisierung der Industrien“?
Prof. Schwaneberg: Vielen Entscheidern und Entwicklern aus der Industrie ist nicht bekannt, welche Möglichkeiten z.B. nachwachsende Rohstoffe, biofunktionalisierte oder biofunktionsintegrierte Materialien mit programmierten Eigenschaften oder schaltbare Klebstoffe, mit bonding/de-bonding on demand, bieten. Daher sehe ich die Wissensvermittlung an Entscheider und Entwickler in Firmen und die interdisziplinäre Ausbildung neuer Fachkräfte als zentrale Aufgabe, um die Herausforderung der Biologisierung von Industrien und weitverbreitete Vorurteile erfolgreich zu adressieren.
Frage 4: Die Umsetzung bioökonomischer Lösungen hängt immer auch von vielen verschiedenen Stakeholdern, wie Forschung, Großkonzernen, KMU, Start-ups aber auch Politik und Gesellschaft, ab. Wo sehen Sie einen deutlichen Nachholbedarf und große Chancen?
Prof. Schwaneberg: Nachholbedarf und große Chancen sehe ich insbesondere in der Aktivierung von KMU für die biologische Transformation von Industrien. Letztere sollte nicht nur die Chemie-/Kunststoff-, Textil- und Medizintechnik-Industrie umfassen, sondern auch den Maschienenbau, die Automobil- und Bauindustrie. Was im Innovationstransfer fehlt, insbesondere von entwickelten biotechnologischen Lösungen/Produkten, sind Launch Center oder Reallabore, in denen Firmen und Forschungseinrichtungen eng zusammenarbeiten. An Universitäten entwickelte Konzepte mit hohem Wertschöpfungspotential könnten hier rasch auf einen Maßstab skaliert werden, in dem KMU ohne großen bürokratischen Aufwand deren Nutzungspotential evaluieren können.
Frage 5: Wenn Sie einen Blick in Zukunft wagen würden: wo steht die Bioökonomie im Jahr 2040?
Prof. Schwaneberg: Meine Hoffnung ist, dass wir in Deutschland mutig voranschreiten und technologisch sowie in der Umsetzung führend sind, sodass wir 2040 die Wertschöpfungspotentiale der biologischen Transformation von Industrien, zur Sicherung unseres Wohlstandes in einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft, genutzt haben.
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Wir bedanken uns ganz herzlich bei Prof. Dr. Ulrich Schwaneberg für das Interview.
Die Fragen stellte die TransBIB-Projektmitarbeiterin Dr. Thomke Bergs.

Prof. Dr. Ulrich Schwaneberg
Lehrstuhl für Biotechnologie
RWTH Aachen University
im Gespräch mit:
Dr. Thomke Bergs
TransBIB-Projektmitarbeiterin