Der TransBIB Kompetenzpool stellt sich vor - Interview mit Dr. Christine Rasche
Leiterin Nachhaltige Chemie | Fraunhofer IGB, Leuna
Dr. Manfred Kircher: Ich freue mich heute auf ein Gespräch mit Ihnen über die Bioökonomie, über Ihren Werdegang, darüber, was Sie im Expertennetzwerk von TransBIB einbringen möchten – und wie man Sie ansprechen kann. Was begeistert Sie denn an der Bioökonomie? Vielleicht möchten Sie sich zu Beginn kurz persönlich vorstellen?
Dr. Christine Rasche: Ja, sehr gerne – vielen Dank für die Möglichkeit, mich heute in diesem Interview vorzustellen.
Ich bin zur Bioökonomie über mein Studium der Lebensmittelchemie gekommen. Dort gab es eine Vorlesung zur Holz- und Pflanzenchemie, die mich sofort fasziniert hat. Sie war ein freiwilliges Angebot, das ich damals belegt habe – und das Thema hat mich direkt gepackt: die Vielfalt der Moleküle, die uns die Natur bereitstellt, und wie wir diese nutzen können. Es ist beeindruckend, wie viele interessante chemische Strukturen wir schon vorfinden, die wir nahezu direkt verwenden könnten.
Damals wurde dieser Bereich noch vergleichsweise wenig verfolgt. Ich konnte dann meine Diplom- und später auch meine Promotionsarbeit in der Holz- und Pflanzenchemie schreiben – und seitdem hat mich die Bioökonomie nicht mehr losgelassen.
Gerade in dieser Zeit hat das Thema an Bedeutung gewonnen, und ich finde es großartig, dass heute so viele Menschen daran arbeiten. Es ist ein sehr lebendiges Umfeld, in dem sich viel bewegt und das viele Möglichkeiten bietet. Und es ist eines dieser Themen, für die man morgens gerne aufsteht – weil man weiß, dass man im Kleinen etwas Gutes beitragen kann.
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"...Und [die Bioökonomie] ist eines dieser Themen, für die man morgens gerne aufsteht – weil man weiß, dass man im Kleinen etwas Gutes beitragen kann."
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Dr. Manfred Kircher: Ja, und da liegt ja auch noch sehr viel ungenutztes Potenzial. Das macht die Forschung in diesem Bereich auch so spannend. Wo haben Sie denn studiert?
Dr. Christine Rasche: Ganz genau. Ich habe an der TU Dresden studiert – wie gesagt, Lebensmittelchemie. Dort bin ich dann zur Holz- und Pflanzenchemie gekommen und habe auch an der TU promoviert.
Meine Promotion war im Rahmen eines Projekts zum Thema Biomasseaufschluss. Am Ende der Promotionszeit war noch etwas Budget übrig, und wir konnten das entwickelte Verfahren – es ging um den Aufschluss von Weizenstroh – im größeren Maßstab testen.
Bis dahin hatte ich im 10-Liter-Maßstab gearbeitet, doch genau zu dieser Zeit wurde das Fraunhofer-CBP eröffnet – das war vor etwa zehn Jahren.
Ich war dann eine der ersten Nutzerinnen dieses Pilotzentrums und konnte den Weizenstrohaufschluss dort im 400-Liter-Maßstab in einer integrierten Bioraffinerie umsetzen – inklusive der Verwertung von Lignin und anderen Bestandteilen.
Es waren damals auch Stellen für Wissenschaftler frei, da das Zentrum gerade aufgebaut wurde. So kam ich direkt zum CBP und habe dort als Projektleiterin gearbeitet – insbesondere an der Skalierung verschiedenster Verfahren im Bereich Biomasseaufschluss.
Dr. Manfred Kircher: Sie haben sich also von der „reinen Wissenschaft“ an einer technischen Universität hin zur sehr anwendungsorientierten Arbeit beim Fraunhofer-Institut bewegt. Sie haben gerade das Fraunhofer CBP erwähnt. Wofür steht denn CBP?
Dr. Christine Rasche: CBP steht für „Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse“.
Es ist ein Zentrum des Fraunhofer IGB, unseres Mutterinstituts, das seinen Sitz in Stuttgart hat. Das IGB selbst hat mehrere Standorte – unter anderem in Straubing, Biberach und eben auch das CBP hier in Leuna.
Das Besondere am CBP ist, dass es direkt in den Chemiestandort Leuna integriert ist. Diese Entscheidung wurde bewusst getroffen, weil wir innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft, die generell sehr anwendungsnah forscht, eine besonders praxisorientierte Ausrichtung haben. Wir arbeiten mit einem deutlich höheren Technologiereifegrad – also nicht mehr im Labormaßstab, sondern eher im Pilot- bis Demonstrationsmaßstab.
Das CBP wurde vor über zehn Jahren gegründet – mit dem Hintergrund, dass es in der Bioökonomie zwar viele tolle Ideen im Labor gibt, diese aber oft nicht bis zur Marktreife gelangen. Genau diese Lücke möchten wir schließen und den Technologietransfer in den industriellen Maßstab unterstützen.
Dr. Manfred Kircher: In Leuna wird ja aktuell stark investiert – zum Beispiel durch ein Papierunternehmen, das in die holzbasierte Chemie einsteigt. Konnte das CBP diesen Prozess auch in der Entwicklung unterstützen?
Dr. Christine Rasche: Der Prozess, den das Unternehmen verfolgt, unterscheidet sich zwar von den Kernprozessen, die wir am CBP bearbeiten, aber wir können natürlich begleitend unterstützen.
Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass hier direkt am Standort ein Forschungszentrum für Bioökonomie vorhanden ist. Das ermöglicht einen wissenschaftlichen Austausch und eine fachliche Begleitung.
Außerdem hat Fraunhofer auch den Auftrag, wissenschaftliches und technisches Personal auszubilden – etwa Absolvent:innen von Universitäten, aber auch Fachkräfte mit technischem Hintergrund.
Das ist ein großes Thema: Wie gewinnt und qualifiziert man Personal mit Spezialisierung auf die Bioökonomie?
Da sich Anlagen in der Bioökonomie in Details abgrenzen, bietet sich die Möglichkeit, spezifisches Know-how aufzubauen – und genau dafür ist der Austausch vor Ort enorm wichtig.
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"Das ist ein großes Thema: Wie gewinnt und qualifiziert man Personal mit Spezialisierung auf die Bioökonomie?"
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Dr. Manfred Kircher: Sie haben die universitäre Forschung erwähnt, ebenso die Anwendungsforschung beim Fraunhofer CBP in Leuna und haben außerdem das Thema Ausbildung angesprochen. Wie sieht denn Ihre derzeitige Tätigkeit aus?
Dr. Christine Rasche: Darauf gehe ich gerne noch etwas ausführlicher ein. Ich war zunächst als Wissenschaftlerin und Projektleiterin bei Fraunhofer tätig – insbesondere in der Skalierung von Prozessen. Dabei haben wir auch eigene Verfahren entwickelt, die wir in die Skalierung und später in die Lizenzierung bringen wollten.
Dabei habe ich mich oft gefragt, was eigentlich bei den Firmen im Hintergrund passiert, wenn sie solche Technologien bewerten. Das war für mich als Wissenschaftlerin eine Art Blackbox. Deshalb habe ich mich entschieden, noch einmal die Perspektive zu wechseln – und bin ins Management Consulting gegangen, um diese andere Seite kennenzulernen.
Ich war zwei Jahre in London tätig – bei AFRY Management Consulting (einige kennen es vielleicht noch unter dem früheren Namen Pöyry, ein finnisches Unternehmen im Bereich Bioökonomie). Dort habe ich genau dieses Handwerkszeug gelernt: Technologie-Scouting, Technologiebewertung, strategische Entscheidungsprozesse in Unternehmen und bei Investoren. Also, was passiert, bevor ein Unternehmen oder ein Investor in ein Verfahren investiert? Welche Studien werden in diesem Zusammenhang erstellt?
Ich habe dort eine Vielzahl solcher Studien geleitet – unter anderem für Banker und Private-Equity-Firmen in London, die an bestimmten Technologien interessiert waren und wissen wollten: Wie entwickelt sich der Markt? Welche Wettbewerber gibt es? Was steckt wirklich hinter der Technologie? Gibt es eine Freedom to Operate? Wie sieht die IP-Situation aus?
All das sind Fragen, die geklärt werden müssen, bevor man bereit ist, mehrere Millionen Euro zu investieren.
Diese Zeit war für mich extrem lehrreich, weil ich die Perspektive komplett gewechselt habe und das große Ganze verstehen konnte – also nicht nur die Forschung, sondern auch, wie man Innovationen wirtschaftlich bewerten und realisieren kann.
Mit diesem Wissen bin ich dann zu Fraunhofer zurückgekehrt – zunächst als Abteilungsleiterin für „Regenerative Ressourcen“. Dort geht es unter anderem um Biomasseaufschluss und chemische Verfahren, also auch die Skalierung solcher Prozesse. In diesem Zusammenhang beschäftigen wir uns auch mit Themen wie CO₂-Nutzung, etwa die Umwandlung von CO₂ zu Methanol. In dem Bereich haben wir inzwischen auch Skalierungskompetenz aufgebaut.
Und inzwischen habe ich eine neue Rolle übernommen: Ich bin aktuell Leiterin des Geschäftsfelds „Nachhaltige Chemie“ bei Fraunhofer IGB. Das umfasst mehrere Standorte und Abteilungen. Meine Aufgabe ist dabei vor allem eine strategisch vernetzende – also Zukunftsthemen identifizieren, interne Synergien schaffen, externe Kooperationen aufbauen und das Feld auch nach außen vertreten.
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"Diese Zeit war für mich extrem lehrreich, weil ich die Perspektive komplett gewechselt habe und das große Ganze verstehen konnte – also nicht nur die Forschung, sondern auch, wie man Innovationen wirtschaftlich bewerten und realisieren kann."
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Dr. Manfred Kircher: Bevor wir auf konkrete Beispiele Ihrer aktuellen Arbeit kommen, möchte ich noch einmal auf Ihre Zeit in London zurückkommen – das ist sicherlich für viele Zuhörerinnen und Zuhörer ein eher ungewöhnlicher Schritt. Viele kommen aus der Wissenschaft, vielleicht auch mit Interesse an der Anwendung – aber der Wechsel ins Geschäftsfeld ist doch eher selten. Was war denn Ihre bedeutendste Lernerfahrung während dieser Zeit? Was war für Sie die prägendste Erfahrung?
Dr. Christine Rasche: Zum einen ganz klar das methodische Handwerkszeug, das ich dort gelernt habe: Wie beschaffe ich Informationen? Wie bereite ich sie auf – und zwar so, dass sie verständlich und zielgruppengerecht präsentiert werden?
Ich musste hochkomplexe, technologische Inhalte so aufbereiten, dass Banker sie verstehen und die wesentliche Botschaft klar erkennbar ist. Das ist eine ganz andere Form der Kommunikation, als man sie aus der Wissenschaft kennt.
Ein weiterer wichtiger Punkt war, sich extrem schnell in neue Themen einzuarbeiten. Man bewegt sich ständig außerhalb der eigenen Komfortzone. Das kann ich übrigens auch Wissenschaftler:innen nur empfehlen.
Vorher war meine Komfortzone klar: Lignocellulose, Bioraffinerie, Lignin – das ist mein wissenschaftliches Steckenpferd. Aber wirklich weitergebracht hat mich, dass ich jetzt Themen ganz unterschiedlicher Art vertreten kann.
Beispielsweise halte ich in einer Woche einen Vortrag über Proteine, in der nächsten spreche ich mit einem Kunden über Chitosan, dann geht es um CO₂-Nutzung und Methanolsynthese. Ich muss nicht in jedem Bereich die tiefgreifende Fachexpertise haben – aber ich muss in der Lage sein, mich schnell einzuarbeiten, die Themen auf den Punkt zu bringen und sie sicher zu vertreten. Und das nicht nur oberflächlich – es muss schon substanziell sein.
Das war anfangs durchaus unbequem, denn man bewegt sich lieber in seinem vertrauten Fachgebiet.
Aber ich habe gelernt, mich dieser Herausforderung zu stellen – auch in Situationen, die auf den ersten Blick einschüchtern können.
Zum Beispiel, wenn man als einzige Frau in einem Raum mit zehn männlichen Entscheidern sitzt und sich deren scharfen Fragen stellen muss. Heute weiß ich, welche Fragen in solchen Kontexten gestellt werden, worauf geachtet wird – und ich kann mich entsprechend gut vorbereiten.
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"Vorher war meine Komfortzone klar: Lignocellulose, Bioraffinerie, Lignin – das ist mein wissenschaftliches Steckenpferd.
Aber wirklich weitergebracht hat mich, dass ich jetzt Themen ganz unterschiedlicher Art vertreten kann."
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Dr. Manfred Kircher: Das klingt sehr spannend.
Vielleicht können Sie uns ein konkretes Projektbeispiel aus Ihrer aktuellen Tätigkeit am Fraunhofer IGB nennen – und auch erläutern, mit welchen, wie Sie sagten, „scharfen Fragen“ von Bankern oder Investoren Sie in diesem Zusammenhang rechnen würden? Denn genau diese Fragen sind es ja, die viele der hier anwesenden Expert:innen aus Forschung und Entwicklung normalerweise nicht gestellt bekommen – die aber entscheidend dafür sind, ob ein Projekt wirklich durchstarten kann.
Dr. Christine Rasche: Ich bin inzwischen nicht mehr selbst in die tiefere wissenschaftliche Arbeit an konkreten Technologien eingebunden. Meine Rolle ist heute stärker strategisch und vernetzend. Ich unterstütze die Abteilungsleitungen bei der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Forschungsbereiche. Und genau daran arbeiten wir aktuell auch intensiv – ein kontinuierlicher Prozess in unserem Institut.
Wir betrachten dabei die verschiedenen Themenfelder, mit denen wir uns beschäftigen – das reicht vom Organosolv-Aufschluss über Ligninspaltung bis hin zur CO₂-Nutzung.
In diesem Zusammenhang stellen wir uns strategische Fragen wie: Wo fehlt vielleicht noch der letzte Baustein, das „Schleifchen“, um ein Verfahren überhaupt lizenzierbar zu machen?
Ein konkretes Beispiel kann ich aus meiner Zeit als Abteilungsleiterin nennen – da war ich noch näher an der Umsetzung beteiligt: Wir haben damals ein Verfahren zur Ölsaaten-Bioraffinerie entwickelt, speziell zur Nutzung von Rapssaat. Im Unterschied zum konventionellen Verfahren, das mit Hexan arbeitet, haben wir Ethanol verwendet – das bringt einige Vorteile mit sich: Man erhält eine qualitativ hochwertigere Proteinfraktion im Vergleich zum üblichen Rapsschrot, das sonst primär als Futtermittel mit begrenztem Wert eingesetzt wird.
Dieses Verfahren haben wir gemeinsam mit einem Industriepartner entwickelt, patentiert und skaliert – inklusive des Aufbaus und des Betriebs einer dedizierten Pilotanlage.
Natürlich stellen sich bei solch einem Projekt – vor allem, wenn es in Richtung Lizenzierung geht – eine Vielzahl von Fragen: Was kostet die Anlage – also CapEx und OpEx? Welche alternativen Verfahren gibt es auf dem Markt? Mit welchen Lösungen konkurrieren wir?
Und das müssen nicht nur vergleichbare Extraktionsverfahren sein – es kann auch ein neu entwickeltes Lösungsmittel auftauchen, das das gleiche Problem wie unser Verfahren adressiert, aber vielleicht noch einfacher oder günstiger.
Solche wettbewerblichen Aspekte können also aus sehr unterschiedlichen Richtungen kommen – und genau darauf muss man vorbereitet sein.
In solchen Fällen setze ich gezielt Workshops auf, um all diese Aspekte gemeinsam mit den Projektteams zu durchleuchten: Wo stehen wir? Wo fehlen noch Daten? Was müsste im nächsten Forschungsprojekt angegangen werden? Welche Partner könnten wir dafür gewinnen?
Denn: Neue Verfahren bis zur Marktreife zu bringen, dauert schnell zehn Jahre oder mehr – und dieser Prozess muss aktiv gemanagt werden. Deshalb stelle ich diese – manchmal unangenehmen – Fragen, um frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen.
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"In diesem Zusammenhang stellen wir uns strategische Fragen wie: Wo fehlt vielleicht noch der letzte Baustein, das „Schleifchen“, um ein Verfahren überhaupt lizenzierbar zu machen? "
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Dr. Manfred Kircher: Vielen Dank für das anschauliche Beispiel. Ich würde das gerne im Hinblick auf das TransBIB-Netzwerk noch einmal aufgreifen – und darauf, wie Interessierte konkret auf Sie und das Fraunhofer IGB zugehen können.
Das von Ihnen beschriebene Ölsaaten-Bioraffinerieprojekt war offensichtlich sehr komplex, zeitintensiv und mit entsprechenden Investitionen verbunden. Viele potenzielle Partnerinnen und Partner im Netzwerk sind aber vielleicht nicht sofort bereit, ein großvolumiges Projekt zu starten. Stattdessen möchten sie womöglich erst einmal mit einer Interessenbekundung einsteigen – und herausfinden, wie eine Zusammenarbeit überhaupt abläuft.
Wie kann man sich also dem Fraunhofer IGB annähern, um eine Frage oder ein Anliegen zu besprechen – ohne dass daraus gleich ein Millionenprojekt wird?
Dr. Christine Rasche: Das ist tatsächlich die Realität: Die allermeisten unserer Projekte starten nicht im Millionenbereich. Auch das große Ölsaatenprojekt hat klein angefangen – mit einer simplen Anfrage, einem ersten Brainstorming, einem Kennenlerngespräch.
Der einfachste Weg, auf uns zuzugehen, ist wirklich: eine E-Mail schreiben – gerne direkt an mich. Ich sortiere das dann thematisch ein und schaue, wie wir weiter vorgehen können.
Wir sind sehr gut vernetzt, etwa im BioZ-Innovationsnetzwerk, das auch Teil von TransBIB ist. Als wissenschaftliche Koordinatorin dort kenne ich viele Akteure und kann relativ schnell einschätzen, wo eine Idee auf Interesse stoßen könnte – oder ob es bereits Ansätze in ähnlicher Richtung gibt.
Und ganz wichtig: Es muss nicht sofort ein großes Forschungsprojekt sein. Oft reicht ein erstes Gespräch, um gemeinsam herauszufinden, worum es eigentlich geht. Was ist die eigentliche Frage, was der Knackpunkt?
Wenn man das klar hat, kann man überlegen: Welche Ressourcen braucht es wirklich? Kann man das intern anstoßen? Wäre eine Förderung nötig – und wenn ja, welche? Oder würde eine erste kleine Studie, ein Labortest oder eine Literaturrecherche schon ausreichen, um die Richtung zu bestimmen.
Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Im Bereich der Bioökonomie kennen wir uns am IGB gut aus: Wir haben entsprechende Player auf dem Schirm und wissen, was vielleicht auch schon vor langer Zeit publiziert wurde – so wurde etwa der Organosolv-Aufschluss bereits 1930 patentiert.
Deshalb: Am besten einfach unkompliziert auf uns zukommen. Ein kurzer Gesprächstermin reicht oft aus, um das Anliegen gut einzuordnen. Danach sehen wir gemeinsam, wie es weitergehen kann.
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"Der einfachste Weg, auf uns zuzugehen, ist wirklich: eine E-Mail schreiben – gerne direkt an mich. Ich sortiere das dann thematisch ein und schaue, wie wir weiter vorgehen können."
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Dr. Manfred Kircher: Ich greife ein Stichwort auf, das Sie eben genannt haben: Potenzial. Bei den Projekten, die Sie interessieren, geht es ja immer um die Frage nach dem Anwendungspotenzial – also wie man eine Technologie in die industrielle Praxis überführt. Welches TRL-Niveau erwarten Sie, wenn Sie beginnen, sich ernsthaft mit einem Projekt auseinanderzusetzen?
Dr. Christine Rasche: Das ist relativ breit gefächert. Grundsätzlich gilt natürlich: Fraunhofer steht für angewandte Forschung, also typischerweise TRL 3 bis 4. Es sollte also schon eine gewisse Basis vorhanden sein.
Wir arbeiten aber auch eng mit Universitäten zusammen – das heißt, es ist absolut kein Ausschlusskriterium, wenn jemand nur eine Idee oder erste Überlegungen hat. Dann schauen wir gemeinsam, wie weit das Thema schon entwickelt ist, worauf man aufbauen kann und wo es eventuell besser aufgehoben wäre – zum Beispiel noch im universitären Umfeld oder ob wir schon ein Stück weitergehen können.
Für das Fraunhofer IGB insgesamt ist der Einstieg also recht flexibel möglich.
Wenn es allerdings um das Fraunhofer CBP geht – also unser Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse, in dem wir Technologien pilotieren und skalieren – sieht das etwas anders aus.
Hier erwarten wir bereits belastbare Labordaten. Ein TRL von mindestens 3, besser 4, ist erforderlich, weil die Skalierung sonst zu risikoreich wird.
Wir müssen beispielsweise Sicherheitsbewertungen und Risikoabschätzungen vornehmen können – und dafür brauchen wir belastbares Ausgangsmaterial. Skalierung ist schließlich teuer, und wir wollen nicht, dass ein Kunde Geld in ein Verfahren investiert, das im großen Maßstab nicht funktioniert.
Das bedeutet allerdings nicht, dass wir erst spät eingebunden werden wollen. Im Gegenteil: Es ist sogar sehr hilfreich, wenn wir bereits während der Laborentwicklung eingebunden werden.
Denn oft kommen Partner zu uns und sagen: „Hier ist der fertige Laborprozess, bitte skalieren.“ Und dann müssen wir leider sagen: „Dieser und jener Schritt ist so nicht skalierbar.“
Ein klassisches Beispiel ist die Filtration: Im Labor lässt man ein Produkt auch mal über Nacht langsam filtrieren. Im Pilotmaßstab mit 10 Kubikmetern Flüssigkeit funktioniert das so nicht. Da müssen alternative Verfahren entwickelt werden – und diese Optimierungen sollten am besten frühzeitig einfließen.
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"Es ist sogar sehr hilfreich, wenn wir bereits während der Laborentwicklung eingebunden werden."
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Dr. Manfred Kircher: Das ist auch meine Erfahrung: Frühzeitig Kontakt aufzunehmen, gezielt Fragen zu stellen – das ist immer sinnvoll. Und wie Sie eben gesagt haben: Sie sind da einfach ansprechbar. Die nächste Gelegenheit, Sie ganz unverbindlich auch persönlich kennenzulernen, ist ja schon im Juni – beim Jahrestreffen von TransBIB in Greifswald, Ihrer Heimatstadt.
Dr. Christine Rasche: Ich freue mich wirklich riesig, dass TransBIB sich entschieden hat, das Jahrestreffen in Greifswald auszurichten. Wenn man auf die Landkarte der Bioökonomie-Initiativen und Netzwerke schaut, war Mecklenburg-Vorpommern lange ein fast schwarzer Fleck – zu Unrecht, denn es gibt dort spannende Biomassen und großes Potenzial, das noch stärker genutzt werden kann und sollte.
In letzter Zeit merkt man aber: Das ändert sich. Immer mehr Bündnisse und Projekte entstehen auch in und um Greifswald. Umso schöner ist es, dass jetzt auch eine Konferenz dort stattfindet.
Meine Eltern waren ehrlich gesagt ziemlich baff, dass ich beruflich mal in Greifswald zu tun habe – das ist in den letzten zehn Jahren nie passiert!
Ich freue mich also sehr, dort zu sein – und alle, die Lust haben, können mich gerne einfach ansprechen. Vielleicht bei einem Fischbrötchen – ich verrate auch, wo es das Beste gibt!
Ich freue mich auf den Austausch.
Dr. Manfred Kircher: Vielen Dank für dieses lebhafte, informative und wirklich hochinteressante Gespräch. Ich wünsche Ihnen viele neue Kontakte auf Basis dieses Interviews – und freue mich auf ein Wiedersehen in Greifswald.
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Wir bedanken uns ganz herzlich bei Dr. Christine Rasche für das Interview.
Die Fragen stellte der TransBIB-Projektmitarbeiter Dr. Manfred Kircher.