Experteninterview mit Theresa Pscherer
Colette Kamuf |

NACHGEFRAGT - Nutzen und Hürden der Ökobilanzierung
Interview mit Theresa Pscherer, M.Sc. | Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Sustainable Engineering & Management (SEM) der Technischen Hochschule Rosenheim (TransBIB Bereich “Stärkung der Bioökonomie-Akteure in der Nachhaltigkeitsbewertung”)
Frage 1: Die Bioökonomie wird als Schlüsselstrategie für eine nachhaltigere Wirtschaft betrachtet. Inwiefern kann die Ökobilanzierung (engl.: Life Cycle Assessment, LCA) dabei eine zentrale Rolle spielen?
Theresa Pscherer: Die Ökobilanzierung ist das wichtigste wissenschaftliche Werkzeug, um die Umweltwirkungen von Produkten und Prozessen zu bewerten. Sie unterstützt dabei, fundierte Entscheidungen zu treffen, indem sie z. B. zeigt, ob ein biobasiertes Produkt wirklich nachhaltiger ist als sein fossiles Pendant. Damit ist sie ein wertvolles Instrument für die Steuerung der Bioökonomie.
Eine LCA betrachtet den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, von der Rohstoffgewinnung über die Produktion, Nutzung und Entsorgung bis hin zur möglichen Wiederverwertung. Das ist besonders wichtig, weil die Bioökonomie mit erneuerbaren Rohstoffen arbeitet, die Kohlenstoff speichern können. Hier ist entscheidend, wie lange der Kohlenstoff gebunden bleibt, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Frage 2: Gibt es bereits etablierte Methoden, um biogenen Kohlenstoff in der LCA richtig zu erfassen und zu bewerten?
Theresa Pscherer: Hier gibt es Fortschritte, aber auch noch Herausforderungen. Biogener Kohlenstoff – also Kohlenstoff, der aus biologischen Quellen/Biomasse stammt – wird in verschiedenen LCA-Standards unterschiedlich bewertet. Eine wichtige Frage ist, ob und wie lange eine Kohlenstoffspeicherung angerechnet wird.
Zum Beispiel können Holzprodukte Kohlenstoff über Jahrzehnte binden, bevor er durch Verrottung oder Verbrennung wieder in die Atmosphäre gelangt. Manche Standards berücksichtigen das, andere setzen die Aufnahme und spätere Emission von biogenem Kohlenstoff einfach auf null. Das kann dazu führen, dass die Klimawirkung von biobasierten Produkten unterschätzt wird.
Ein weiterer Punkt ist der sogenannte Substitutionseffekt: Wenn ein biobasiertes Produkt ein fossiles Produkt ersetzt, werden oft weniger Treibhausgase ausgestoßen. Doch die Art und Weise, wie dieser Vorteil berechnet wird, ist noch nicht einheitlich geregelt. Es gibt verschiedene Methoden, den Substitutionseffekt zu bestimmen, aber sie führen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Frage 3: Eine weitere Debatte im Kontext biogenen Kohlenstoffs dreht sich um sogenannte Gutschriften („Credits“). Was hat es damit auf sich?
Theresa Pscherer: Gutschriften sind ein viel diskutiertes Thema in der LCA. Die Idee dahinter ist, dass eine Speicherung von Kohlenstoff in Produkten und der sich daraus ergebende Umweltnutzen als eine Art „Bonus“ ausgewiesen werden. Ein Beispiel wäre ein Holzprodukt, das für viele Jahre Kohlenstoff bindet. Je länger die Speicherdauer, desto größer kann der positive Effekt für das Klima sein.
Allerdings gibt es unterschiedliche Ansätze, wie diese Gutschriften berechnet werden. Einige Standards erlauben eine separate Berechnung. Andere subtrahieren die Gutschrift von der Gesamtbilanz. Ebenso existieren Standards, die eine Mindest-Speicherdauer vorschreiben oder Gutschriften nicht akzeptieren. Dadurch können die Ergebnisse stark variieren, je nachdem, welche Berechnungsmethode bzw. Standard verwendet wird.
Frage 4: Trotz dieser offenen Fragen – wie wichtig ist LCA bereits heute für politische Entscheidungen?
Theresa Pscherer: Die Bedeutung der LCA hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Die Europäische Kommission empfiehlt LCA als zentrales Instrument zur Bewertung der Umweltfreundlichkeit von Produkten. Es gibt bereits politische Rahmenwerke, die sich darauf stützen, wie den Environmental Footprint for Products (PEF). Auch die EU-Initiative „The New European Bauhaus“ setzt auf LCA und hat es als Bewertungsinstrument in ihren Investment Guidelines aufgenommen.
Allerdings gibt es noch keine einheitliche gesetzliche Vorgabe, wie LCA in der Bioökonomie angewendet werden soll. Das führt dazu, dass Unternehmen mit unterschiedlichen Methoden arbeiten, was die Vergleichbarkeit erschwert.
Für einen tieferen Einblick in das Thema würde ich Sie gerne auf folgende Veröffentlichung verweisen: Pscherer, T., Krommes, S. LCA standards for environmental product assessments in the bioeconomy with a focus on biogenic carbon: A systematic review. Int J Life Cycle Assess 30, 371–393 (2025). https://doi.org/10.1007/s11367-024-02387-7
Frage 5: Und wie kann TransBIB Unternehmen in der Bioökonomie konkret unterstützen?
Theresa Pscherer: In TransBIB werden verschiedene Inhalte erarbeitet, die Unternehmen den Einstieg in die Ökobilanzierung erleichtern. Zum Beispiel wurden bereits Workshops und Learning Lounges durchgeführt, in denen die Grundlagen der Ökobilanzierung behandelt wurden. Auf der TransBIB -Website stellen wir zudem LCA-relevante Beiträge zur Verfügung. Seit März 2025 bieten wir auch einen Leitfaden zum Download an. Dieser umfasst eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für eine einheitliche, methodische Vorgehensweise in der Ökobilanzierung nach ISO 14040 und 14044 sowie eine Checkliste zu relevanten Bestandteilen der Ökobilanzierung und enthält weiterführende Informationen zu einschlägigen Normen und Standards.
Frage 6: Lassen Sie uns abschließend einen Blick in die Zukunft werfen. Welche offenen Fragen sehen Sie noch für die LCA in der Bioökonomie?
Theresa Pscherer: Es gibt einige spannende Forschungsfelder. Eine der größten Herausforderungen ist die Harmonisierung der Methoden. Wenn verschiedene Standards zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ist das ein Problem – insbesondere für Unternehmen, die nachhaltige Produkte entwickeln und auf eine verlässliche Bewertung angewiesen sind, die mit anderen vergleichbar ist. Hier ist auch Greenwashing ein Thema.
Ein weiterer Punkt ist die Integration von Kreislaufwirtschafts-Prinzipien. Heute werden viele Produkte nach ihrem ersten Lebenszyklus entsorgt oder verbrannt. Doch es gibt enorme Potenziale, Biomaterialien mehrfach zu nutzen – durch Recycling oder Kaskadennutzung. Die LCA muss weiterentwickelt bzw. in ihren Standards spezifiziert werden, um diese Konzepte besser abzubilden.
Schließlich bleibt die Frage, wie sich LCA stärker mit politischen Prozessen verzahnen lässt. Während sie schon heute eine wichtige Rolle spielt, könnte eine klarere gesetzliche Verankerung helfen, nachhaltige Entscheidungen konsequenter zu steuern.
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Wir bedanken uns ganz herzlich bei Theresa Pscherer für das Interview.
Die Fragen stellte der TransBIB-Projektmitarbeiter Dr. Martin Brunsmeier.

Theresa Pscherer, M.Sc.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Technischen Hochschule Rosenheim
Forschungsgruppe Sustainable Engineering & Management (SEM)
im Gespräch mit:
Dr. Martin Brunsmeier
TransBIB-Projektmitarbeiter