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Experteninterview mit Lee Greene

Interview mit Lee Greene | Treiberin der Transformation im Ernährungssystem @Food Horizons

Frage 1: Wir erleben derzeit eine Zeit der großen Umbrüche, Transformationen und Megatrends. Warum braucht gerade unser Ernährungssystem neue Werte und Produkte?

Lee Greene:
Wenn man sich die ganze Diskussion zur Nachhaltigkeit anguckt, dann gibt es eigentlich keinen Bereich der SDGs (Anmerkung: Sustainable Development Goals = Nachhaltigkeitsziele), der nicht irgendwie mit Land - und Ernährungswirtschaft zusammenhängt. Wie viele andere Branchen müssen Inputs und Produktionsprozesse hinterfragt werden. Wo kann man Emissionen sparen, die Umwelt und das Wasser schützen?  Land- und Ernährungswirtschaft sind aber auch über den Output eng mit der Nachhaltigkeitsthematik verbunden. Ernährung bestimmt beispielsweise die Gesundheit, und auch die Leistungsfähigkeit in der Schule. Das beeinflusst die Bildung und soziale Armut: die Frage danach, ob Ernährung gesichert, ausgewogen und mit hochwertigen Nährstoffen versehen ist, schafft eine hohe Verantwortung und Komplexität. Deswegen ist es so wichtig, den Status Quo des Ernährungssystems zu hinterfragen.

Frage 2: Wenn wir über Bioökonomie und Nachhaltigkeit sprechen, beziehen wir uns immer auch auf die vermehrte stoffliche Nutzung von Biomasse. Wie passt das für Sie mit Ernährungssicherheit, angesichts einer steigenden Weltbevölkerung und nachlassender Bodenqualität, zusammen?

Lee Greene:
Wir brauchen einen wahrhaftigen neuen Blick auf das System. Weitermachen wie bisher, den Status quo digitalisieren, bestehende Nebenströme upcyclen und ein bisschen Biotechnologie „einstreuen“ – das wird nicht reichen. Wir haben schon lange eine Tank, Teller, Trog Diskussion. Was soll werden, wenn wir nun auch Landmasse brauchen, um Biomasse für Bauindustrie, und Automobile herzustellen? Dann macht Indoor Farming ja vielleicht auf einmal doch Sinn?! Wie kann man dank neuer Technologien beispielsweise aus unseren Kulturpflanzen ganz neue Ströme rausholen?

Der Status quo muss sich komplett verändern, aber das ist ein Zukunftsbild, eine fundamentale Veränderung, die erst einmal Angst macht. Was wir brauchen, ist eine strategische Bewertung der Flächen, mit einer kritischen Betrachtung der Technologien, die wir gerade haben oder entwickeln. Zukunftstechnologien – und auch die Frage, welche Kultivar wir anbauen – brauchen auch eine realistische Bewertung ihrer Wirtschaftlichkeit gemessen an den Businessmodellen und Absatzmärkten der Zukunft.

Frage 3: Mit unseren TransBIB Angeboten richten wir uns gezielt an die Industrie, insbesondere auch an KMU, um die Transformation unseres Wirtschaftssystems voranzutreiben. Wie kann das Einbinden der Industrie aus Ihrer Sicht gelingen?

Lee Greene:
Die Wirtschaft muss zukunftsorientierter handeln und offener in den Austausch treten aber: Wir brauchen auch jemanden, der Potenziale erkennt und zielgerichtet zusammenführt. Ein „Trüffelschwein“ für Innovationen, das nicht selbst forscht, sondern sich durchgehend (z.B. auf Konferenzen) vernetzt und Verbindungen zusammenführt. In jeder Branche gibt es Unternehmen, die etwas bewegen wollen und als Change Agents fungieren können. Ohne Marktfähigkeit wird aus der Invention keine Innovation. Daher sollte bereits frühzeitig im Forschungsprozess die Wertschöpfungskette überdacht und kritisch hinterfragt werden. Eine frühzeitige Spiegelung mit Change Agents, um zu klären, was neben der Nachhaltigkeit notwendig ist, damit auch Wirtschaftlichkeit erreicht werden kann, kann direkt eine Strahlkraft in das Industrienetzwerk und das erweiterte Ökosystem der Beteiligten haben.

Frage 4: Mit Ihren mehr als 20 Jahren Erfahrung im Ernährungssystem sind Sie eine wertvolle Partnerin für Start-ups, Unternehmen und Projekte: Welche Partnerschaften oder Unterstützung brauchen wir heute? Was machen Sie als Enablerin bzw. wie verstehen Sie Ihre Rolle?

Lee Greene:
Die Herausforderungen eines Deep Tech-Start-ups im Biotechbereich sind gerade in der Überführung in ein Business deutlich anspruchsvoller, als die eines Food Start-ups, bei dem man ein MVP (Anmerkung: minimal viable product) deutlich simpler testen kann. Ich habe gerade, weil ich keine fachliche Expertin bin, die Fähigkeit in der Zusammenarbeit mit Deep Tech-Start-ups eine Sichtweise von außen einzunehmen. Das ermöglicht es mir, strategische Partnerschaften zu erkennen, aus der Metaebene das Puzzle zusammensetzen – von Inselideen zur integrierten Lösung. Meine Erfahrungen haben drei grundlegende Erkenntnisse ergeben:

  1. Start-ups sind oft noch deutlich zu früh mit ihrer Idee unterwegs verglichen damit, wo der Markt gerade ist.

  2. Grenzen zu verschieben schafft man nicht alleine, es braucht Partnerschaften und Netzwerke. Deswegen: Ideen zusammenführen und damit eine echte Lösung schaffen, die direkt auch ein größeres Team mit mehr Sichtbarkeit, Durchsetzungsvermögen und Reichweite hat. Dafür muss oft einfach mehr die Kundenperspektive eingenommen werden.

  3. Es wird unterschätzt, wie Start-ups sich auch untereinander pilotieren können: nicht die Suche nach dem großen Corporate Partner führt zum Erfolg, sondern Zusammenarbeit untereinander oder mit mobilen KMU. Um diese Potenziale zu erkennen braucht es das „Trüffelschwein“. Woran es oft fehlt, ist die Vernetzung von Akteuren, weshalb ich 2018 auch den Foodhub NRW für mehr offene Transparenz gegründet habe und ein Stück weit als „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Frage 5: Eine tiefgreifende Reformation einer ganzen Industrie hängt immer auch von vielen verschiedenen Stakeholdern wie Forschung, Großkonzernen, KMU, Start-ups aber auch Politik und Gesellschaft, ab. Wo sehen Sie einen deutlichen Nachholbedarf und große Chancen?

Lee Greene:
Die Verbände der Lebensmittelindustrie sind noch nicht wirklich im Boot. Sie fokussieren sich zu großen Teilen weiterhin auf Vertretung bestehender Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Politik – und das ist leider oft die Bewahrung des Status quo. Dabei könnten sie wunderbar Impulse in die Branche spielen und den Diskurs moderieren.  Ich bin mir sicher, dass wir auf den rettenden Politik-Ritter, der alles ordnungspolitisch richtet, nicht warten sollten: Es ist an uns, ein „Movement zur Marktfähigkeit“ zu schaffen. Mutmachende Beispiele sind da sicherlich bereits diejenigen Wissenschaftler:innen, die Themen sichtbar machen, marktorientiert vorantreiben und sich dabei aus der Forschung heraus wagen in den Diskurs mit der Politik.

Frage 6: Wenn Sie einen Blick in Zukunft wagen würden: Was esse ich an einem Tag im Jahr 2040?

Lee Greene:
Ich bin mir sicher, dass sich die Warengruppen gar nicht verändern werden: Ich starte meinen Tag mit einem Kaffee, aber der ist zu 50 % aus klassischen Kaffeebohnen aus Indien und zu 50 % aus gerösteten Lupinen.  Vielleicht gibt es als personalisierten Nutrient-Schub für den Tag auch ein personalisiertes, 3D-gedrucktes Vitaminbonbon, was auf Basis der Übernacht-Analyse meines Bedarfes erstellt wurde. Mein Salat zum Mittagessen kommt dann nicht aus Spanien, sondern aus einer urbanen Indoor Farm. Unsere Ernährung wird sich nicht drastisch verändert haben in Bezug auf die Lebensmittel ABER sie werden andere Inhaltsstoffe haben. Wie Schokolade, die wie solche schmeckt, aber aus gerösteten Sonnenblumen und Hafer hergestellt wurde.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass Produktion variabler geworden ist, Rezepturen nicht mehr so starr sind, Inhaltsstoffe variieren, um der Anfälligkeit von Lieferketten Rechnung zu tragen, die von klimatischen und politischen Unsicherheiten bedroht sind.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Lee Greene für das Interview.

Die Fragen stellte die TransBIB-Projektmitarbeiterin Dr. Thomke Bergs.